588 Jahre Hausgeschichte unter 15 Zentimetern Außendämmung

Die Sandsteinfassade des Bauernhauses Schnepfenreuther Hauptstraße 65 erstickt unter Polystyrol

Das Bauernhaus Schnepfenreuther Hauptstraße 65 bietet dieser Tage ein trauriges Bild. Die mit Gesimsen und dekorativen Schnecken versehene Sandsteinfassade des unter Denkmalschutz stehenden Anwesens hat die Eigentümerin mit einer Außendämmung aus aschgrauen Polystyrolplatten versehen lassen. Die Anker, die zur Befestigung gebohrt wurden, haben tiefe Wunden in die über 200 Jahre alte Fassade gerissen. Wie sich herausstellte, war die Dämmung nicht genehmigt – die Bauordnungsbehörde hat weitere Arbeiten untersagt. Der Schaden ist noch nicht absehbar. Von dem auf ihrem Haus ruhenden Denkmalschutz habe die Eigentümerin nichts gewusst. Zeit, einmal die Geschichte des altehrwürdigen Anwesens aufzurollen.

Am Anfang war ein Fachwerkhaus

Bereits in dem um 1425 verfassten „Wachstafelzinsbuch der Reichsveste zu Nürnberg“ ist das Haus verzeichnet. Damals gehörte es dem Bauern Hanns Rabnolt, der es als Lehen von den Nürnberger Burggrafen erhalten hatte. Diese verkauften Schnepfenreuth 1427 an die Reichsstadt Nürnberg. Wie das Haus damals aussah, wissen wir nicht.

Erst eine im Staatsarchiv Nürnberg aufbewahrte Zeichnung überliefert uns in naiver Isometrie das Aussehen des Hauses im Jahr 1719: Es handelte sich um einen Bau aus Sichtfachwerk mit Satteldach – in der Silhouette dem heutigen Haus recht ähnlich. Der schlechte Zustand und die Beengtheit seines Hofes bewogen Besitzer Hans Sippel einen Neubau zu beantragen. Dieser sollte zwar wieder in Fachwerk ausgeführt, mit 54 mal 35 Nürnberger Werkschuh (das sind etwa 16,4 mal 10,6 Meter) jedoch deutlich größer werden als sein Vorgänger und auf einem Sockel aus Sandstein sitzen. Im Inneren wollte Sippel die althergebrachte Raumanordnung des Knoblauchsländer Wohnstallhauses beibehalten: Vom zentralen Ern (Flur) gelangte man in die Erdgeschossräume, den Stall, die Küche, die beiden Schlafkammern und die Stube, die mit einem Hinterlader-Kachelofen beheizt werden sollte. 1724 wurde das Haus dann tatsächlich neu gebaut.

Haus mit barockem Gesicht

Als Besitzer des Hauses folgten Peter (nachgewiesen 1731) und Erhard Sippel (1791) sowie Konrad Lebender (1823). Vielleicht war es Erhard Sippel, der sein Haus 1803 mit einer mächtigen Sandsteinfassade in barocken Formen versah, die an den Traufen mit schneckenartigen Reliefs (Voluten) und einem Firstgiebel mit Jahresinschrift geschmückt wurde. Auf diese Weise haben viele Hausbesitzer des Knoblauchslandes im 18. und 19. Jahrhundert ihre Häuser „veredelt“ und ihrem Stolz und wachsenden Wohlstand Ausdruck verliehen. Bereits im Jahr 1734 ließ auch der Eigentümer des nahe gelegenen Anwesens Schnepfenreuther Hauptstraße 78, das ebenfalls unter Denkmalschutz steht, sein Haus auf diese Weise umgestalten.

Der Landwirt Johann Simon Höfler, dessen Familie über Jahrhunderte das Nachbaranwesen Nr. 63 besessen hatte, war 1923 – dem Jahr, in dem Schnepfenreuth nach Nürnberg eingemeindet wurde, – Eigentümer des Hauses Nr. 65 und blieb es bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Wahrscheinlich schon bei der Erstellung der ersten Bayerischen Denkmalliste in den 1970er Jahren wurde es unter Schutz gestellt.

Haus ohne Gesicht?

Nun ist das Haus, das auf eine fast 600jährige Geschichte zurückblickt, in Gefahr. Dass die Eigentümerin versucht, die Unterhaltskosten für das Haus durch eine klimaeffiziente Modernisierung zu verringern, ist angesichts rasant steigender Energiepreise verständlich. Doch dies sollte auf eine Weise geschehen, die dem Anwesen sein historisches Antlitz belässt.

Im Augenblick droht die Sandsteinfassade mit ihren Voluten, die so charakteristisch für die Bauernhäuser des Nürnberger Umlandes sind, unter einer Schicht aus Dämmstoff zu ersticken. Der verzierte Firstgiebel, auf dem der Besitzer 1803 stolz den Umbau des Hauses festhielt, lag vergangenen Donnerstag zerbrochen auf dem Hof. Mit dem Verlust dieses Baudenkmals droht auch das ursprünglich von historischen Sandsteinfassaden geprägte Dorf Schnepfenreuth noch mehr von seinem Charakter zu verlieren. Wir müssen uns fragen: Was sind uns unsere alten Dorfkerne und ihre baulichen Zeugnisse wert? Was bleibt von der Geschichte und Kultur des Knoblauchslandes, wenn wir zulassen, dass ihr buntes, in Jahrhunderten gestaltetes Antlitz unter Dämmstoff und nivellierendem Putz verschwindet?

Die Denkmalschutzbehörde hat diese Baumaßnahme zwar inzwischen gestoppt; ob dies aber letztlich Erfolg haben wird? Entscheidend ist, dass sich die Besitzerin des Hauses Schnepfenreuther Hauptstraße 65 dazu entschließt, das Anwesen denkmalgerecht zu restaurieren und sich selbst und ihrem Heimatdorf so ein Stück gebaute Identität zu bewahren.

Zur Nachlese der Presseartikel von Claudine Stauber: Baudenkmal verliert sein Gesicht, Nürnberger Nachrichten, Nr. 52, 4. März 2014, S. 10.

Quellen und Literatur

  • Darstellung der (Bau-)Denkmäler und Geschichte Schnepfenreuths durch Dr. Friedrich August Nagel (Stadtarchiv Nürnberg, C 20/II Nr. 110). Blätter 151 und 152.
  • Das Wachstafelzinsbuch der Reichsveste zu Nürnberg von etwa 1425 und das Reichslehenbuch der Herren von Berg aus dem Jahre 1396. Bearb. von Gustav Voit. Nürnberg 1967 (Quellen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg, 7).
  • Die Stadt Nürnberg. Bearb. von Wilhelm Schwemmer (Bayerische Kunstdenkmale). 2. Aufl. München 1977.
  • Persönliche Mitteilungen von Dr. Michael Metzner, Verein Nürnberger Bauernhausfreunde e. V.