Zur Baugeschichte des Postgebäudes Bahnhofplatz 1

Die nachfolgende Dokumentation zur Geschichte der Hauptpost am Nürnberger Hauptbahnhof wurde im September 2004 vom damaligen Stadtheimatpfleger Herbert May verfasst, der sie uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

Der neugotische Vorgängerbau

Bereits 1861/62 entstand auf dem Grundstück ein erstes Postgebäude: Die dreiflügelige Anlage zeigte ihre Fassade zum Bahnhofplatz und war in den Seitenflügeln viergeschossig und im Hauptflügel zweigeschossig (offenbar mit hoher Halle im EG) ausgebildet. Spitzbogige, maßwerkähnliche Fenster verweisen auf ein neugotisches Formenrepertoire, das bei dem werksteinsichtigen Gebäude zur Anwendung kam. Das flachgeneigte Dach war augenscheinlich mit Kupfer gedeckt. Das Bauwerk diente als Oberpostamtsgebäude, in dem alle Postdienststellen angesiedelt waren. Doch schon nach wenigen Jahren konnte das Gebäude bei ständig ansteigendem Postverkehr den benötigten Raumbedarf nicht mehr decken, so dass in der Folgezeit ein Konglomerat von Gebäuden im Umgriff des Oberpostamtes – seit 1907 in „Oberpostdirektion“ umbenannt – entstand. Von dieser „Poststadt“ steht heute einzig noch der sogenannte Rundbau, der sich von der Bahnhofsstraße bis zum nördlichen Eingang des Allersberger Tunnels erstreckt. Das alte Gebäude des Oberpostamtes/Oberpostdirektion wurde 1931 – exakt 70 Jahre nach dessen Erbauung – abgebrochen, um an gleicher Stelle einen Neubau zu errichten.

Der moderne Neubau-Entwurf von 1931

Der von der Bauabteilung der Post und dem verantwortlichen Architekten, Oberpostbaurat Johann Kohl, 1931 geplante Neubau sah einen Stahlskelettbau mit vorgehängter Fassade vor. Die Errichtung des Stahlskeletts war 1933 vollendet, ohne dass jedoch über die Fassadengestaltung des kubischen Baukörpers, der acht Geschosse aufweisen sollte, Klarheit herrschte. Als eine Option stand eine regelmäßige Lochfassade mit liegenden Fenstern, Natursteinverkleidung, kleinen Fenstern im obersten Geschoss, Flachdach und einem gläsernen Aufzugturm zur Diskussion. Für die Belichtung der im Erdgeschoss vorgesehenen Schalterhalle sollte ein nach Westen zum Bahnhofplatz gerichtetes Fensterband – eine Abfolge von hohen, rechteckigen Fenstern – sorgen, was dem Gebäude eine gewisse Leichtigkeit verleih.

Planänderung nach 1933 – Abkehr von der Moderne

Die nationalsozialistische Machtergreifung im Januar 1933 hatte auch fundamentale Auswirkungen auf die Fassadengestaltung des Postgebäudes: Unter Einflussnahme des Gauleiters von Franken, Julius Streicher, waren die alten Entwürfe nun obsolet geworden. Die Stadtverwaltung ließ einen allgemeinen Wettbewerb ausschreiben, den der Architekt Max Kälberer – unter 147 Einsendern – gewann. Kälberer ließ das Dachgeschoss des schon aufgestellten Stahlskeletts abtragen und verzichtete auf das Flachdach. Rundbögen im Erdgeschoss, ein Walmdach (33 Grad) mit weitem Überstand sowie plastischer Bauschmuck – Wappenkartuschen unterhalb des Traufgesimses und zwischen den Fenstern des 6. Obergeschosses sowie eine Adlerfigur an der nordwestlichen Gebäudecke im 1. Obergeschoss – waren typische Attribute der von den Nationalsozialisten geforderten „Neuen Deutschen Baukunst“. Die vorgeblendete symmetrische Fassade aus Muschelkalkstein, verbunden mit den erwähnten, auf der Nordseite leicht ausgestellten Erdgeschoss-Bögen, verlieh dem Gebäude nun den Anschein eines Massivbaus und ließ ihn schwer und mächtig erscheinen. Keine Spur mehr von der Leichtigkeit des ersten Entwurfs. Johann Kohl als verantwortlicher Postarchitekt hat sich gefügt und den Kälberer-Entwurf übernommen.
Die Außengestaltung konnte bis zum Reichsparteitag 1934 abgeschlossen werden, der Innenausbau dauerte noch bis 1935, erst dann war das Postamtsgebäude endgültig fertiggestellt.

Beschädigung des Gebäudes im Zweiten Weltkrieg

Angesichts der Nähe zu den militärstrategisch wichtigen Bahnanlagen ist es erstaunlich, dass das Gebäude einer Totalzerstörung entgehen konnte. Einige Bombentreffer haben die Massivdecken teilweise bis zum Keller durchschlagen, was zu einer massiven Beschädigung des Stahlskeletts geführt hat. Auch die Natursteinfassade hat gelitten, insbesondere auf der Nordseite waren die oberen zwei Geschosse stark geschädigt. Zahlreiche Fensterumrahmungen sollen ebenfalls Schäden aufgewiesen haben, was sicherlich auf Kampfhandlungen in der letzten Kriegsphase zurückzuführen ist, als die in die Stadt vorrückenden Alliierten das sich in den Häusern verschanzende letzte deutsche Aufgebot unter Feuer nahmen. Doch sind das im Grunde Blessuren einer den schweren Angriffen standhaltenden Natursteinfassade, die den Krieg somit doch weitgehend überstanden hat.

Planungen zum Wiederaufbau

Mit den Planungen zum Wiederaufbau wurde im Verlaufe des Jahres 1947 begonnen. Die Planungen des verantwortlichen Postbaurats Anton Ebner sahen folgende Maßnahmen vor:
• Herstellung einer flacheren Dachneigung und Deckung des Dachs mit Falzziegel (da Blech in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehe)
• Herstellen eines ausladenden Hauptgesimses an der Dachtraufe
• Beseitigung des plastischen Bauschmucks im 6. Obergeschoss
• Beseitigung der breiten Fensterumrahmungen und Heranführen des Plattenfugenschnitts bis an die Fensterlaibungen
• Neue Fenster mit senkrechter Teilung

Offenbar sollte darüber hinaus auch die Bogenstellung durch eine „Einblendung“ verändert werden, wie aus dem in den Bauakten überlieferten Schriftwechsel hervorgeht.
An den Planungen war auch der Baukunstbeirat beteiligt. In seiner Sitzung vom 19.12.1947 kritisierte er einige der geplanten Maßnahmen. Er plädierte entschieden für die Beibehaltung der Bogenstellung im Erdgeschoss, wofür auch wirtschaftliche Gründe sprächen. Außerdem bestehe kein Grund, die Fensterumrahmungen zu verändern. Schließlich sei das vorgeschlagene Gesims „zu schwächlich“ und die Dachausbildung „zu unentschieden“.
Die Intervention des Baukunstbeirats hatte Erfolg: Die Bogenstellung im Erdgeschoss wurde ebenso belassen wie die Fensterumrahmungen, wenngleich diese allerdings partiell erneuert werden mussten. Inwieweit das Votum des Kunstbeirats auch im Detail noch die Gesimsbildung und die Dachneigung beeinflusste, entzieht sich unserer Kenntnis, da die Detailzeichnungen, auf die in den Schriftwechseln zwischen Baukunstbeirat und der Oberpostdirektion Bezug genommen wird, den Bauakten nicht mehr beiliegen. Grundlegende Änderungen können hierbei aber nicht mehr erfolgt sein: Das Gesims ist in der Tat „ausladend“ ausgeführt worden und das neue Dach erhielt eine flache Neigung von 18 Grad.

Der Wiederaufbau

Die Planungen waren noch nicht abgeschlossen, d.h. die letzten baulichen Details der Fassadengestaltung noch nicht festgelegt, da begann man während des Jahres 1947 bereits mit dem Wiederaufbau des Gebäudes. Zunächst wurde das Stahlskelett „neu eingerichtet und verschraubt“ und die Massivdecken „wieder ergänzt“ werden, so die „Nürnberger Nachrichten“ v. 25.9.1948 in einem Rückblick auch die Bauarbeiten. Die Stahlkonstruktion wurde bei MAN gefertigt, maßgeblich beteiligt an den Bauarbeiten waren die Baufirmen Völkel und Heidingsfelder, die auf der Baustelle durchschnittlich 50 Arbeiter beschäftigten. 20 Tonnen Stahl für das „zum Teil noch erhaltene Stahlgerüst“ wurden verbaut, ebenso 200 Tonnen Zement und 1000 Kubikmeter Zuschlagstoffe (NN v. 3.4.1950). Für die neue Dachkonstruktion wurde 50 Tonnen Rundeisen benötigt. Die Gesamtkosten für den Wiederaufbau beliefen sich auf 2 Millionen DM.

Die Analyse der Entwurfspläne bestätigt die Aussage in den „Nürnberger Nachrichten“ von dem trotz der Bombentreffer teilweise noch erhaltenen Stahlgerüst. Zwei Stützenreihen sind dort als Bestand vermerkt. Auch die Umfassungsmauern respektive die Natursteinverkleidung sind farblich mit grau (= Bestand) gekennzeichnet, wohingegen fast alle Zwischenwände im Gebäudeinneren eine rote Markierung aufweisen (= Erneuerung). Die Binnengliederung des Gebäudes ist somit völlig verändert worden. Ausnahmen finden sich lediglich im Erdgeschoss und im Keller, wo die alte Grundrisseinteilung teilweise noch Bestand hatte. Erst im Jahr 2000 ist mit der Neustrukturierung der Schalterhalle im Erdgeschoss auch hier eine gravierende Veränderung erfolgt.

Im November 1949 fielen die Gerüste und die Außenarbeiten waren abgeschlossen. Der Innenausbau zog sich noch hin, so dass erst am 2.7.1951 das Gebäude durch den aus Nürnberg stammenden Postminister Hans Schuberth feierlich eingeweiht werden konnte.
13 von insgesamt 24 Referaten der Oberpostdirektion (OPD) waren nun im Gebäude untergebracht, das zugleich als Amtssitz des OPD-Präsidenten fungierte. Insgesamt beherbergte der OPD-Sitz eine große Schalterhalle und 73 Räume, die mit einem Paternoster erschlossen wurden.

Die Intention des Wiederaufbaus

Nicht nur die in den Bauakten überlieferten Planungsunterlagen Anton Ebners und des Baukunstbeirats, auch die Berichterstattung zum Wiederaufbau geben beredtes Zeugnis davon, dass die Koordinaten klar festgelegt waren und die Erhaltung des alten Erscheinungsbildes im Vordergrund stand. „Im wesentlichen wird die neu erstandene Hauptpost aussehen wie früher. Lediglich das vorspringende Dach von ehemals verschwindet“ heißt es in den „Nürnberger Nachrichten“ vom 25.9.1948. Auch nach Abschluss der Wiederaufbauarbeiten konstatieren die „Nürnberger Nachrichten“ in ganz ähnlichem Tenor: „Das Haus hat … seine fast an einen wuchtigen Turm erinnernde Form ziemlich beibehalten.“ Geändert wurden dem Bericht nach nur das Dach und Hauptgesims, die Fensterteilung und die beiden Eingänge. (NN v. 2.7.1951). Und der Präsident der OPD resümierte in seiner Rede anlässlich der Eröffnung des Hauses, dass nach Jahren schwerer Arbeit das Gebäude „seine ursprünglich klare und einheitliche Baulinie wieder erhalten hat“. (NN v. 4.7.1951).

Denkmalpflegerische und städtebauliche Bewertung

Die Recherche hat ergeben, dass von dem Postgebäude ein ganz erheblicher Teil der Bausubstanz den Zweiten Weltkrieg überdauert hat. Selbst das durch Bombentreffer stark beschädigte Stahlgerüst konnte partiell wiederverwendet werden. Die Natursteinfassade ist in weiten Teilen noch die alte, bei genauem Augenschein sind sogar an der Nordseite über dem 1. Obergeschoss noch Spuren der Wandbefestigung des Schriftzuges „Deutsche Reichspost“ erkennbar.
Sogar die Fensterformate wurden nicht verändert und auch die Fensterumrahmungen, die in der anfänglichen Planung Anton Ebners noch zur Disposition standen, blieben erhalten bzw. wurden rekonstruiert. Dasselbe gilt für die Bogenstellung im Erdgeschoss, die auf Initiative des Baukunstbeirats ebenso unverändert blieb. Die wichtigsten Veränderungen an der Fassade betrafen die Fenster selbst – Fenster mit senkrechter Teilung ersetzten die alten Sprossenfenster – und die Dachneigung mit nunmehr 18 statt bislang 33 Grad. Der neuen Dachneigung entsprechend passte sich auch das Gesims an: Es war nun nicht mehr – fast wie ein Hut – weit heruntergezogen, sondern relativ flach und ausladend und angesichts der Mangelwirtschaft statt mit Blech oder Kupfer mit Falzziegel gedeckt.

Die Maßnahmen kennzeichnen das damalige Bemühen, den Bau im alten Erscheinungsbild erhalten zu wollen. Die zeitgenössische Rezeption bestätigt diesen Eindruck, wie die oben wiedergegebene Berichterstattung zum Wiederaufbau belegen. Selbst jüngere Maßnahmen wie ein offenkundiger Austausch von Steinmaterial an der Westfassade, der in den 1980er Jahren erfolgt sein muss, orientieren sich in der Materialwahl (Muschelkalk) an dem ursprünglichen Zustand. Das neue Dach und die neuen Fenster nehmen zwar durchaus Einfluss auf den Ausdruck des Baus, doch sind diese Veränderungen im Vergleich zu den das alte Erscheinungsbild konservierenden Maßnahmen eher marginal.

Architekturhistorisch ist das Gebäude ebenfalls von erheblicher Bedeutung. Infolge der oben beschriebenen fundamentalen Planänderung 1933 zählt das Postgebäude fraglos zu den wichtigsten Beispielen „der Abrechnung der neuen Machthaber mit dem ‚Neuen Bauen’ zu Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft in Nürnberg.“ (Helmut Beer, Winfried Nerdinger u.a., Bauen in Nürnberg 1933-1945, S. 17) Auch in dem von Winfried Nerdinger herausgegebenen Standardwerk über das „Bauen im Nationalsozialismus. Bayern 1933-1945“ findet das Postgebäude entsprechende Erwähnung (S. 385 f.).
Überdies ist das Gebäude gemeinsam mit dem „Rundbau“ der letzte Rest der so genannten „Poststadt“, die sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts innerhalb von etwa 70 Jahren östlich und südöstlich des Bahnhofs entwickelt hatte und die dynamische Entwicklung des Postwesens in jener Zeit kennzeichnet. Der jüngste schmerzlicher Verlust dieser „Poststadt“ ist das Paketpostamt, das vor wenigen Jahren abgebrochen wurde, ohne dass eine Neubebauung erfolgte.
Auch städtebaulich hat das Postgebäude im Kontext der Bahnhofplatzbebauung einen hohen Stellenwert. Gemeinsam mit dem westlich gelegenen, etwa gleich hohen Victoriahaus fasst es den Platz ein. Es ist somit eine wichtige Determinante im dortigen städtebaulichen Gefüge.

Quellen und Literatur

  • Bauordnungsamt Nürnberg/Registratur: Bauakten (inkl. Pläne) – Stadtarchiv Nürnberg/Fotoabteilung: Konvolut „Bahnhofplatz“ .
  • Nürnberger Nachrichten v. 25.9.1948, 5.11.1949, 3.4.1950, 12.5.1950, 23.6.1951, 2.7.1951, 4.7.1951.
  • Helmut Beer, Winfried Nerdinger u.a., Bauen in Nürnberg 1933-1945. Architektur und Bauformen im Nationalsozialismus, Nürnberg 1995.
  • Winfried Nerdinger, Bauen im Nationalsozialismus. Bayern 1933-1945, München 1993.
  • Der Neubau der Oberpostdirektion Nürnberg, hrsg. von der Oberpostdirektion Nürnberg, Nürnberg o.J. [1972].

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