Dr.-Karl-Theodor-Marx-Haus in der Marienstraße vom Abriss bedroht

Eines der letzten Zeugnisse der alten Marienvorstadt ist akut vom Abbruch bedroht: Ein Investor plant, das Anwesen Marienstraße 15/Flaschenhofstraße 2 für einen Neubau abzureißen. Das 1862 erbaute Gebäude ist eines der letzten und ältesten aus den Anfangsjahren der Marienvorstadt, der ersten Stadterweiterung Nürnbergs nach dem Mittelalter. Als Wohn- und Geschäftshaus des jüdischen Blech- und Spielzeugfabrikanten Ignaz Bing und als Sitz der Nürnberger Nothilfe ist das Haus ein Denkmal Nürnberger Geschichte.

Die Stadtbild-Initiative Nürnberg tritt für den Erhalt des wirtschafts- und sozialgeschichtlich, städtebaulich und architektonisch bedeutenden Gebäudes ein. Lesen Sie nachfolgend die Mitteilung unserer Initiative (verfasst von unserem Mitglied Stadtheimatpflegerin Dr. Claudia Maué), die heute der Presse zugegangen ist:


Kein Abriss des Dr.-Karl-Theodor-Marx-Hauses (Marienstr. 15/Flaschenhofstr. 2)!

Pressemitteilung

Anfang Mai erfuhr die Stadtbild-Initiative Nürnberg, dass das stattliche Gebäude Marienstraße 15 abgerissen und durch ein Wohnhaus mit 38 Einheiten ersetzt werden soll. Da der Besitzer des Grundstücks die gewünschte Wohnungszahl im Bestandsgebäude nicht unterbringen kann, soll das bestens erhaltene Haus dem Abbruch zum Opfer fallen.

Abgesehen von der Ablehnung dieser aus Gründen der Nachhaltigkeit fragwürdigen Praxis, ältere, aber intakte Bausubstanz einem angeblich profitableren Neubau zu opfern, stehen einem Abbruch der Marienstraße 15 und dem mit ihr verbundenen Gebäudekomplex an der Flaschenhofstraße 2 gewichtige Argumente entgegen:

Das Haus Marienstraße 15 ist trotz seiner Veränderungen durch den Wiederaufbau nach der Teilzerstörung im Zweiten Weltkrieg eines der letzten Zeugnisse für die großbürgerlichen Bauten in der „Marienvorstadt“, die als erste planmäßige Nürnberger Stadterweiterung durch den Stadtbaurat Bernhard Solger in die Wege geleitet worden war. Seinem Bebauungsplan zufolge entstand in einem offenen Bausystem ein Wohnviertel mit Vorgärten und Grünflächen, in dem sich an der Nordseite der Marienstraße traufseitige Solitärbauten mit zentralen Zwerchhäusern aneinanderreihten. In diesem Zusammenhang wurde 1862 das Haus Marienstraße 15 vom Maurermeister Georg Gsundbrunn errichtet.

1878 kaufte die Firma Gebrüder Bing, später als Bing-Werke die größte Spielzeugfabrik der Welt, das Haus Marienstr. 15 und das sich nordöstlich bis zur Flaschenhofstraße reichende Areal, um darauf ihre ersten Lager- und Ausstellungsräume zu errichten. Für die 1892 geplante Erneuerung der Lagergebäude beauftragte die Firma den für seine Fabrikbauten bekannten Architekten Georg Richter, der später für die Firma Bing auch das große Fabrikgebäude in der Stephanstraße errichtete – heute Sitz der Firma Diehl.

Ignaz Bing, der Mitbegründer der Firma, wohnte ab 1878 in der Marienstr. 15 und verstarb hier 1918, als Geheimer Kommerzienrat und Träger der Silbernen Bürgermedaille der Stadt Nürnberg hoch geehrt. Als Entdecker der nach ihm benannten „Binghöhle“ bei Streitberg war er auch Ehrenbürger von Streitberg. Ein weiterer Bewohner des Hauses war der Mitbegründer der Hercules-Werke, Ernst Marschütz. Damit beherbergte das Haus zwei bedeutende Vertreter des jüdischen Wirtschaftsbürgertums, die maßgeblichen Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung Nürnbergs hatten. Nach Ignaz Bings Tod wohnte dort noch sein Sohn, der Schriftsteller und Literaturkritiker Siegmund Bing, der engen Kontakt zu Jakob Wassermann, dem Prager Kreis mit Werfel, Rilke, Brod und Kisch sowie zu Thomas und Heinrich Mann pflegte.

1928 erwarb die „Nürnberger Nothilfe“ das Doppelanwesen Flaschenhofstraße 2 / Marienstraße 15 und richtete dort Verwaltungsräume, eine Küche und einen Speisesaal ein. Die „Nürnberger Nothilfe“ war im November 1923 gegründet worden, und wurde u.a. von Vertretern des Nürnberger Wirtschaftslebens getragen. Etliche jüdische Unternehmer spielten eine wichtige Rolle als Unterstützer und Funktionäre des Vereins, so der im Holocaust ermordete Mitinhaber des Bankhauses Kohn, Kommerzienrat Dr. Richard Kohn. Wichtigstes Ziel des Vereins war die Linderung der nachkriegsbedingten allgemeinen Hungersnot, die zunächst Geldsammlungen, Vermittlung von Patenschaften für bedürftige Familien oder direkte Einladungen an hungernde Kinder zum Essen in Familien organisierten. Ein weiteres Mittel zur Beschaffung von Geldern waren Warenlotterien, bei denen u.a. als Hauptgewinn ein „Landhaus“ in der neu angelegten „Villenkolonie Weigelshof“ winkte; das noch bestehende Haus in der Danziger Str. 16 wurde 1925 durch den Architekten Karl Griesser erbaut. Die vereinseigene Suppenküche wurde 1928 in der Flaschenhofstr. 2 eingerichtet, in der Folgezeit mehrfach erweitert und um eine hauseigene Metzgerei bereichert.

Im 3. Reich blieb der 1934 gleichgeschaltete Verein Eigentümer des Gebäudes und übernahm zusätzliche Funktionen als provisorische Jugendherberge und als Quartier für französische und russische Kriegsgefangene. Unter dem Diktat der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt versorgte die Nürnberger Nothilfe die Kinderspeisung, das Winterhilfswerk, rund 30 Fabriken im Stadtgebiet und nicht zuletzt die Reichsparteitage.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt das 1950 wieder aufgebaute Haus Marienstr. 15 den Namen „Dr.-Karl-Theodor-Marx-Haus“. Damit wollte man die Bedeutung Marx’ (1892 – 1958) für die Nürnberger Nothilfe manifestieren, die 1946 mit der Ernennung zum Ehrenvorstand des Vereins gewürdigt worden war. Marx hatte die Nürnberger Nothilfe initiiert und 1924-1933 als Kassenwart mitgearbeitet. Über seine wichtige Rolle für die Nürnberger Nothilfe hinaus spielte Marx für die Nürnberger Sozialgeschichte eine wichtige Rolle: Als stellvertretender Wohlfahrtsreferent war er für die Arbeits- und Obdachlosenfürsorge zuständig und engagierte sich ehrenamtlich in der privaten Wohlfahrtspflege (Nürnberger Hilfswerk, Nürnberger Nothilfe, Landesverband für Wandererfürsorge). Der parteilose Marx wurde 1933 aus politischen Gründen entlassen und von den Nationalsozialisten diffamiert. 1945 als Amtsleiter wiederberufen, wurde Marx 1947 zum Gesundheits- und Wohlfahrtsreferenten gewählt. Der von ihm wieder eingeführte soziale Beratungsdienst hatte seinen Sitz in der Marienstr. 15. In seiner zweiten Amtszeit setzte er sich für den Wiederaufbau der Kaiserstallung als Jugendherberge sowie für den Bau von Kliniken und Altenheimen ein.

Neben seiner Nutzung als Sitz des sozialen Beratungsdienstes diente das wieder errichtete Haus Marienstr. 15 als Verwaltungssitz der Nürnberger Nothilfe und als Wohngebäude für Mitglieder des Vereinsvorstands. Später mietete die Nürnberger Stadtverwaltung Büros für die Erziehungs- und Familienberatung des Jugendamtes an, zuletzt hatte die Deutsche Akademie für Fußballkultur hier ihren Sitz.

Für die Erhaltung des Gebäudekomplexes bestehen demnach drei gute Gründe:

1) Architekturgeschichtliche Gründe

Auch in der heutigen, veränderten Gestalt gibt das Gebäude Marienstr. 15 einen Eindruck von der bis auf wenige Reste verschwundene Bebauung der „Marienvorstadt“. Der Komplex Flaschenhofstr. 2 hat weitgehend die Fassadengestaltung von 1892 durch den bedeutenden Architekten Georg Richter bewahrt.

2) Wirtschaftsgeschichtliche Gründe

Als Firmensitz der Bing-Werke, als Wohnhaus des Kommerzienrats Ignaz Bing sowie des Mitinhabers der Hercules-Werke Ernst Marschütz besitzt der Gebäudekomplex eminente Bedeutung für die von jüdischen Unternehmern entscheidend geprägte Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs.

3) Sozialgeschichtliche Gründe

Fast hundert Jahre war das Anwesen Sitz des Vereins Nürnberger Nothilfe, der an dieser Stelle enorme Leistungen für die Wohlfahrtspflege der Stadt erbrachte. Darüber hinaus trägt das Haus Marienstr. 15 den Namen von Karl Theodor Marx und erinnert so an eine der herausragenden Persönlichkeiten der Nürnberger Stadtverwaltung der Nachkriegszeit.

Mit freundlichen Grüßen

für die Stadtbild-Initiative Nürnberg
Elmar Hönekopp

PS: Text und Bilder können mit Quellenangabe verwendet werden.

Pinselfabrik ist Geschichte

Die letzten Reste der Pinselfabrik verschwinden (© Heike Hein, 2015).
Die letzten Reste der Pinselfabrik verschwinden (© Heike Hein, 2015).

Die ehemalige Pinselfabrik in der Veillodterstraße 1 ist vernichtet. Seit Juni wurde das 1861 errichtete historische Industriegebäude Stück für Stück zerstört. Auch der letzte verbliebene Rest des alten Baumbestandes wird beseitigt. Die Zukunft wird zeigen, ob die Bauherrin Bauhaus Liebe & Partner der Aufgabe gewachsen ist, einen ansatzweise adäquaten Nachfolgebau an Stelle der Pinselfabrik zu errichten. Die bisher bekannten Plänen und Visualisierungen geben jedoch keinen Anlass zur Hoffnung (siehe Prospekt des Bauträgers, PDF).

Die Proteste der Bürgerinitiative „Erhalt der Pinselfabrik“ haben den Abbruch nicht verhindern können, doch hat der große Widerstand der Anwohner gezeigt, dass das Interesse am Erhalt historischer Bauten wächst. Dies ist ein positives Zeichen, auch wenn es für die Pinselfabrik zu spät kommt. Durch unüberlegte Abbrüche und lieblos geplante Neubebauung, die einzig nach Maßgabe größtmöglicher Rendite geschieht, verliert Nürnberg mehr und mehr an Charakter. Können wir es uns leisten, nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und den Sanierungswellen der Nachkriegszeit noch mehr von unserer städtebaulichen Geschichte zu opfern? Wir sagen: Nein. Denn was bringt den Bewohnerinnen und Bewohnern ein Umfeld, in dem sie nicht mehr leben wollen?

WBG hält an Abbruch der Siedlung Schillingstraße fest

Die WBG hält unbeirrt an ihrem Plan fest, die Siedlung Schillingstraße für einen Neubau zu opfern. Die Stadtbild-Initiative Nürnberg hat alle Mittel ausgeschöpft, um die Wohnbaugesellschaft doch noch zum Umdenken zu bewegen – leider ohne Erfolg.Die WBG hat immerhin zugesichert, dass Geschichte und Baubestand der Siedlung für die Nachwelt in Text- und Bildform dokumentiert werden. Folgende Erklärung haben wir heute an die Presse verschickt:

 Ensemble Schillingstr Pressenotiz 150326-001

Bürgerinitiative „Erhalt der Pinselfabrik“ gegründet

Die neue Bürgerinitiative, die die ehemalige Pinselfabrik in der Veillodterstraße 1 erhalten möchte, hat sich offiziell gegründet. Lesen Sie hier den aktuellen Bericht aus dem Stadtanzeiger Nord der Nürnberger Nachrichten (das im Artikel angegebene Baujahr ist falsch – es muss „1861“ heißen, nicht „1981“):

BI Pinselfabrik NN Anzeiger Nord 18.3.2015
Quelle: Nürnberger Nachrichten

Die letzte ihrer Art im Viertel

Die Pinselfabrik Veillodterstraße 1 soll hochverdichteter Neubebauung weichen

Maximale Nachverdichtung
Hohe Bäume, Vorgärten und lichte Weite prägten einst die Veillodterstraße und ihr Umfeld. Die von hohen Bäumen und einem dekorierten Gusseisenzaun umsäumte ehemalige Pinselfabrik an der Ecke Veillodter- und Lindenaststraße ist nahezu alles, was von diesem Vorortidyll übrig blieb. Das zweigeschossige Gebäude mit Walmdach ist von der Straße zurückgesetzt. Mit seinem Garten ist es eine grüne Insel der alten Zeit inmitten der Häuserschluchten der Nachkriegszeit.

Doch die Pinselfabrik und ihr Garten sollen weg. Der derzeitige Eigentümer möchte mit einem Neubau, der unter dem nicht gerade bescheidenen Namen „Max Palais“ firmiert, kräftig nachverdichten. Die enge Bebauung der Nachkriegszeit von nebenan soll bis an die Veillodterstraße herangezogen werden. Ein gewaltiger, viergeschossiger Block mit hohem Dach und scharfer Kante zur Straßenkreuzung soll entstehen, wo jetzt noch ein historisches Haus und hohe Laubbäume stehen. Die unbedachte Nachverdichtung der Nachkriegszeit soll fortgesetzt und der letzte Rest der einst lockeren Bebauung vor diesem Abschnitt der Nürnberger Stadtmauer gewinnbringend bis zum Letzten ausgenutzt werden. Das ist aus Sicht des Investors verständlich. Aber ist es für dieses Viertel, für seine Bewohner, für das Stadtbild auch sinnvoll und vertretbar?

Insel der Gründerzeit
Die Pinselfabrik ist eines der ersten Bauwerke vor den Mauern der Altstadt. Sie entstand 1861, Jahre bevor die Nordstadt durch den Wegfall der Festungseigenschaft Nürnbergs planmäßig erschlossen werden konnte. Sie gehört zu den letzten Gebäuden, die an die bedeutende Nürnberger Industriekultur der Gründerzeit im Viertel erinnern. Die anderen – Schwanhäußer Stabilo, Staedtler und viele mehr – sie alle sind längst in die Vororte abgewandert, ihre Bauten verschwunden.

Die Pinselfabrik ist das einzige Gebäude der Veillodterstraße, das die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs überlebt hat. Der Bauträger wirbt in seinem Prospekt mit dem Charme des Viertels, das durch „großzügige Bürgerhäuser mit phantasievoll dekorierten Fassaden“ geprägt sei. Wie passt das mit der Absicht zusammen, ausgerechnet das letzte noch verbliebene historische Haus des Straßenzugs abreißen zu wollen?

Dringend benötigter Wohnraum?
In Nürnberg werden Wohnungen gebraucht. Vor allem Familien mit Kindern der mittleren Einkommensklassen suchen derzeit bezahlbaren Wohnraum. Wer glaubt, in der Veillodterstraße 1 entstünde durch den geplanten Neubau Wohnraum für die, die ihn am meisten brauchen, der irrt: Ortsfremde Kapitalanleger ohne Bezug zum Viertel, die über 4.500 Euro für den Quadratmeter netto kalt bezahlen – das sind über 1.000 Euro über dem Nürnberger Durchschnitt – erwarten selbstverständlich hohe Mieteinnahmen. Hier entsteht Wohnraum für reiche Kundschaft in einem „In-Viertel“.

Mit der Pinselfabrik in der Veillodterstraße droht ein weiteres Stück Nürnberger Vorortidylls für immer zu verschwinden. Kann sich Nürnberg nach den Zerstörungen des Krieges und der Nachkriegszeit solche Verluste noch länger leisten? Wir von der Stadtbild-Initiative sagen: Investitionen in neuen Wohnraum sind gut und richtig. Aber: Wenn wir weiterhin achtlos alles wegreißen, was sich vermeintlich „nicht rentiert“, wird unsere Stadt ihren Lebenswert nach und nach verlieren. Das Umfeld, in dem wir leben, gehört uns allen. Es ist wichtig für unser Wohlbefinden und unsere Identität. Und es ist bares Geld wert, denn nur, wo es schön ist, da wollen Menschen gerne leben und für ihren Wohnraum bezahlen. Warum also die Pinselfabrik in der Veillodterstraße nicht restaurieren? Warum nicht statt Hochverdichtung Wohnraum schaffen, der zwar weniger Rendite bringt, aber dem Stadtbild eine Augenweide bewahrt? Möglich wäre es.

Bilden Sie sich selbst eine Meinung und sehen Sie sich die bisherige Planung des Bauherrn an: http://www.bauhaus-bautraeger.de/fileadmin/files/Expose/150128_Maxpalais-Expose_ansicht.pdf