Tiefgarage statt Parkhaus? Der Freistaat Bayern überdenkt seinen Entschluss und zieht die Bauvoranfrage zurück.
Fast pünktlich zu Weihnachten gibt es eine schöne Überraschung für die Stadt Nürnberg, die Anwohner und jene, denen das Ensemble an der Bärenschanze am Herzen liegt: Der Freistaat Bayern hat die Bauvoranfrage für das geplante Parkhaus an Stelle des Gebäudes Bärenschanzstraße 8c zurückgezogen. Hier die aktuelle Pressemeldung.
Was soll abgerissen werden, was soll bleiben, wie wird oder könnte das Gelände genutzt werden?
Die Gebäude der alten Hauptpost am Bahnhofsplatz sind stadtbildprägend. Die ersten Ideen zur Umgestaltung und zur Neunutzung des Geländes liegen auf dem Tisch: Abriss des Kopf- und des Zwischenbaus, Neubauten, Entkernung des Rundbaus; Hotelneubau (!), Einzelhandel, Dienstleistungen, etc. Die öffentliche Diskussion hierzu hat gerade begonnen (vgl. auch die Sitzung des Stadtplanungsausschusse am 18.Dezember 2014). Was sollte wie erhalten werden? Welche alternativen Nutzungsmöglichkeiten sind vorstellbar? Wir werden uns an dieser Diskussion beteiligen.
Sie finden hierzu künftig auf unserer Internetpräsentation bauhistorische Informationen und aktuelle Hinweise zur Vorbereitung eines vom Bauträger geplanten Wettbewerbs.
Das ehemalige Verwaltungsgebäude des Großkraftwerks Franken (Harmoniestraße 27) ist Geschichte. Seit Anfang Dezember 2014 laufen die Abrissarbeiten an dem Gebäude. Bis zuletzt war es im Denkmalatlas des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege als Einzeldenkmal ausgewiesen.
Die Untere Denkmalschutzbehörde schreibt, dass das Gebäude „… im Einvernehmen mit dem Landesamt [für Denkmalpflege] zum Abbruch freigegeben worden [sei], nachdem in einem nicht mehr ermittelbaren Zeitraum die denkmalkonstituierenden Eingangsportale mit Reliefs und Figurenzier ausgebaut und durch Fenster ersetzt worden waren.“
Irritierend an dieser Äußerung ist, dass die besagten Portale im Eintrag in der Bayerischen Denkmalliste nicht erwähnt werden. Dieser lautet: „Ehem. Verwaltungsgebäude Großkraftwerk Franken, dreigeschossiges zweiflügeliges Bürogebäude mit flachem Walmdach und Dachgauben, sachlicher Putzbau mit Hausteingliederung, 1927-1929 (bez. 1928) von Hans Müller und Karl Kröck.“
Die bayerische Staatsregierung besteht auf den Bau eines Parkhauses und den Abriss des Gebäudes Bärenschanzstraße 8c.
Hierzu verweisen wir auf den Artikel „Staatsregierung setzt Parkhaus durch“ in der NZ vom 7.11.14, S. 11, und auf den Ausgangspunkt hierfür, dieAntwort der Staatsregierung / StMin. Müller auf die Anfrage von Herrn Ganserer MdL (online zugänglich). Am gleichen Tag (7.11.14) erhielten wir ein Antwortschreiben von StMin. Herrmann (verfasst von der Obersten Baubehörde), das diese Position bestätigt und gleichzeitig zumindest partiell die Verantwortung an die Stadt zurückzugeben versucht. Hier wird offensichtlich von Seiten der Staatsregierung ein gewisses Schwarze-Peter-Spiel betrieben („Mit der Stadt in langen Gesprächen abgestimmt“, „nicht erkennbar, dass sich der Freistaat … über die städtischen Belange hinweggesetzt hätte“ ). Immerhin wird nun eine Tiefgarage als Alternative ein wenig sachlicher diskutiert.
Nur stimmen die angesprochenen Alternativen und die dazu angeführten Fakten so nicht. Wir bleiben am Ball!
So unglaublich es klingen mag: Dieses Haus hat man mit dem Ziel gedämmt, es gleich nach Abschluss der Maßnahme zu verkaufen. Die Ausführung ist aus architektonischer und städtebaulicher Sicht ein Desaster: Durch das Abschlagen der dezenten Simse und Fensterrahmungen haben die Fassaden jegliche Struktur verloren. Die Fenster sind durch die Dämmung nun wesentlich kleiner, haben ihre Bogenabschlüsse verloren und lassen nun weniger Licht in die Innenräume. Die Dachgauben schließlich sind viel zu groß dimensioniert und erschlagen das Gebäude regelrecht durch ihre Dominanz und die grell glänzende Titanzink-Verblechung.
Beim Anblick des seelenlosen, grellgelben Klotzes stellt sich die Frage, ob man durch die Sanierung die Verkaufschancen nicht eher verschlechtert als gefördert hat. Dass eine solche Maßnahme in Ermangelung rechtlicher Handhabe im direkten Umfeld des historischen Friedhofes von Sankt Jobst geduldet werden muss, ist schwer zu verkraften.
Vor über einhundert Jahren, im Jahr 1909, erscheint in den Adressbüchern erstmals das Gasthaus „Goldene Krone“ in der Schloßstraße 31 zu Gleißhammer. Damals befand es sich im Besitz der Fuhrwerksbesitzers David Friedrich. 1912 bewirtschaftete es Georg Jäckel und nach ihm Friedrich Mändel. Das Haus, in dem sich die Gaststätte befand, stand damals schon viele Jahre – mindestens seit 1899, dem Jahr, in dem Gleißhammer nach Nürnberg eingemeindet wurde, das sich im Zuge der Industrialisierung mehr und mehr über seine einstigen Grenzen hinaus ausbreitete. Bauherr war vermutlich Zimmerermeister Georg Luber, der 1902 als Eigentümer nachweisbar ist.
Der namentlich nicht bekannte Planfertiger schuf für Luber ein typisches Vorstadthaus mit zwei Vollgeschossen und einem hohen Mansarddach, in dem bei ausreichender Raumhöhe zusätzlicher Wohnraum untergebracht werden konnte. Im Hofbereich hinter dem Wohn- und Gasthaus entstanden zusätzlich mehrere Rückgebäude, vermutlich Werkstätten und Lagerflächen. Bis 2014 blieb die Fassade des Hauses an der Schloßstraße mit ihrer einfachen, aber wirkungsvollen Gliederung in Formen des Klassizismus mit Traufgesims, Blendfeldern, profilierten Fensterrahmungen und einem Portal aus Haustein weitgehend erhalten.
Nach dem Aus für das Gasthaus „Goldene Krone“ und der Nutzungsänderung zum reinen Wohngebäude ist der neue Bauherr nun jedoch drauf und dran das historische Erscheinungsbild des Hauses zu ruinieren: Die Fassade zur Schloßstraße wurde bereits mit dicken Wärmedämmplatten versehen, unter denen die klassizistischen Fensterrahmungen und das Traufgesims verschwunden sind. Nun ist das Haus von einem eintönigen Mantel aus Polystyrol umgeben, der die ursprünglichen Proportionen und das fein abgestimmte Fassadenrelief zerstört hat. Mehr noch, neben den historischen Nachbarhäusern, die ihr Erscheinungsbild der Jahrhundertwende weitgehend erhalten haben, wirkt das Haus Schloßstraße 31 nun wie ein Fremdkörper. Der bis zuletzt trotz großer Kriegsverluste recht anschaulich überlieferte Charakter der Vorstadtstraße mit ihren Gründerzeitbauten hat schweren Schaden genommen.
Ein solch unsensibler Raubbau an einem der ältesten Gebäude der ganzen Straße im Besonderen und dem Straßenbild insgesamt zeigt, welch irreparablen Schaden die einseitige Schwerpunktsetzung auf Energieeffizienz dem Stadtbild zufügen kann. Welchen Sinn hat ein bauliches Umfeld, das zwar vermeintlich Energiekosten spart und den CO2-Ausstoß verringert, dafür aber den Wohnwert durch monotone Fassadenflächen und konfektionierte Baustoffe ohne Individualität und Geschichte vernichtet? Eine „schöne neue Welt“ in der Monotonie knallbunt gestrichener Häuserfronten mit Wärmeverbundsystem wird die identitätsstiftende Vielfalt eines historisch gewachsenen Straßenbildes nie ersetzen können. Auch das historische Wirtsanwesen „Goldene Krone“ hätte eine sensiblere Behandlung verdient.
Wie wichtig sind uns Denkmäler?Und:Gilt der Denkmalschutz für Groß und Klein? Einige Gedanken zur aktuellen Situation in Nürnberg
Die jüngsten Ereignisse in unserer Stadt machen den aufmerksamen Beobachter stutzig. In der ersten Jahreshälfte 2014 sind bereits zwei Baudenkmale verschwunden: Zum einen das Bahnverwaltungsgebäude Bahnhofstraße 40 von 1907 und zum anderen das Alte Landeskirchliche Archiv in der Veilhofstraße von 1955, einer für Nürnbergs Baugeschichte besonders bedeutungsvollen Ära. Bei beiden Gebäuden handelte es sich um Einzeldenkmale, die eigentlich höchsten Schutz des Gesetzes genießen sollten. Besteht Grund zur Sorge?
Andererseits: Etwa zur gleichen Zeit hat der Denkmalschutz die Besitzerin des Anwesens Schnepfenreuther Hauptstraße 65 getroffen, die ihr Haus aus dem 16. Jahrhundert modernisieren wollte, hier aber etwas ungestüm zur Tat schritt: Als die Denkmalschutzbehörde hiervon erfuhr, erfolgten Anordnungen zum Rückbau, und sogar von einer Geldstrafe war in der Presse zu lesen. Dabei spielten die finanziellen Interessen der Besitzerin eine untergeordnete Rolle. Als Eigentümer kann man gut mitfühlen, wenn auch das Handeln der Denkmalbehörde hier nicht nur richtig, sondern auch notwendig war. Der Denkmalschutz ist allerdings noch immer ein Schreckgespenst für viele Hausbesitzer und Immobiliensuchende. Es wird kolportiert, dass man als Besitzer eines Denkmals seine Raumverhältnisse keinesfalls verändern dürfe: Eine weitere Steckdose oder ein neuer Fußboden, ganz zu schweigen von neuen Fenstern oder einem Balkon im Innenhof – all dies sei bei Denkmalschutz ein behördenmäßiger Spießrutenlauf, wenn nicht sogar unmöglich.
Wie ist das Vorgehen bei der Veilhofstraße und in der Bahnhofstraße dann zu bewerten? Hier ging es schließlich nicht um neue Fenster, sondern binnen weniger Tage sind die Gebäude komplett dem Bagger zum Opfer gefallen. Für den interessierten Bürger war hier allerdings keine Reaktion der Denkmalbehörde zu vernehmen. Oder waren die Gespräche bereits vorher unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Verborgenen gelaufen? Gilt hier unterschiedliches Recht? Ist der Abriss eines Denkmals einfacher zu erreichen als eine Änderung am Bestand? Welche Schlussfolgerungen sind für den Bürger hieraus zu ziehen?
Fakt ist: Denkmäler sind wissenschaftlich qualifiziert und durch Gesetz geschützt. Das Gesetz entstand deshalb, da es ein öffentliches Interesse an der Erhaltung und der Pflege von Kulturgut gibt. Es ist im Interesse des Allgemeinwesens. Von daher war das Durchgreifen der zuständigen Behörde im Falle der Schnepfenreuther Hauptstraße 65 richtig. Doch wie kann dann das Landeskirchliche Archiv in der Veilhofstraße so schnell verschwinden? Und warum so plötzlich? Welcher Diskurs auch immer zur Entscheidung gegen das Denkmal geführt hat, er wurde Abseits der Öffentlichkeit geführt und hat den Abriss der Denkmäler bedeutet. Doch mit welchen Begründungen? Sind hier Interessen wirksam geworden, die mächtiger waren als die öffentlichen Interessen? Warum hat darüber keine Information stattgefunden? Gerade gesetzlich geschütztes Interesse braucht Öffentlichkeit, und die transparente Auseinandersetzung damit. Denn Öffentlichkeit ist auch ein Stück Demokratie. Entscheidungen, die zum Abbruch eines Denkmals führen, müssen besonders sorgfältig begründet sein, um akzeptiert zu werden. Der Eigentümer einer denkmalgeschützen Kleinimmobilie ist vor dem Gesetz doch genauso zu behandeln wie ein Großinvestor. Dem Anbau eines Balkons steht das gleiche Interessen gegenüber, das auch dem Abbruch einer ganzen Häusergruppe gegenüber steht: Öffentliches Interesse, nämlich die Bewahrung und Pflege von Geschichte und Identität. Wohin führt es, wenn man nur mächtig genug sein muss, um gesetzliche Rege-lungen biegen zu können, oder wenn man nur schnell genug zur Tat schreiten muss, um zuständige Behörden handlungsunfähig zu machen? Welche Bedeutung hat dann noch das öffentliche Interesse und das Gemeinwesen für jeden Einzelnen von uns? Gleiches Recht hat für alle zu gelten, auch im Bauwesen. Die Gestalt und die Gestaltung unserer Stadt liegen in unser aller Interesse, und kann daher nicht genug durch Transparenz, Öffentlichkeit und Diskussion gepflegt und weiterentwickelt werden. Hierfür setzen wir uns ein!
Die Stadtbild-Initiative Nürnberg tritt für den Erhalt der Siedlung Schillingstraße in Hummelstein ein, die die WBG für einen Neubau abbrechen will. Hier unsere drei Thesen für den Erhalt des Ensembles:
Stadtbildinitiative Nürnberg 4. September 2014
Drei Thesen für den Erhalt des Ensembles Siedlung Schillingstraße
zum Pressgespräch am 4. September 2014, 11 Uhr, in Nürnberg, Galvanistraße 58
(Handreichung)
„Zukunft und Erfolg brauchen Vergangenheit“
Unter dieses Motto stellte die Wohnungsbaugesellschaft Nürnberg (WBG) 2008 stolz ihre Festschrift zum 90jährigen Firmenjubiläum. Acht Jahre später droht der Verlust eines wichtigen Teils dieser Vergangenheit – der 1919 bis 1920 erbauten Siedlung an Schilling-/Sperber-/Pillenreuther und Galvanistraße (im Folgenden „Siedlung Schillingstraße“ genannt). Geht es nach den Ergebnissen des Architekturwettbewerbs „Europan 12“, soll sie einer hochverdichteten Neubebauung weichen. Die Stadtbildinitiative Nürnberg hält den Abriss der Siedlung aus sozialen, städtebaulichen und stadtgeschichtlichen Gründen für verfehlt. Stattdessen fordern wir eine Sanierung unter Erhalt und Aufwertung des Ensembles. Die Anlage hat das Potential, den heutigen Bedürfnissen angepasst zu werden und sich damit zu einem zukunftsweisenden Modell für Nürnbergs Umgang mit historischer Wohnsubstanz und städtebaulich markanten Ensembles zu entwickeln. Dazu haben wir auf Basis des Leitgedankens der WBG drei Thesen entwickelt:
1. Denkmal der Vergangenheit: Die Siedlung ist von hoher architektonischer, historischer und städtebaulicher Bedeutung.
Die Wohnanlage Schillingstraße ist ein Zeugnis des Reformwohnungsbaus. Sie ist Teil einer Kette aus Siedlungen – darunter Gartenstadt, Werderau, Rangierbahnhof, Loher Moos und Fliegersiedlung–, mit denen Stadt, Genossenschaften und Unternehmen der Wohnungsnot vor und nach dem Ersten Weltkrieg begegneten. Mit dem Abbruch verlöre diese Kette ein wichtiges Glied. Sowohl die Nürnberger Altstadt in ihrer Komplexität als auch die Gründerzeitviertel werden, bezogen auf ihre spezifische Wohnqualität und ihren Stellenwert in der Stadtgeschichte, in der Öffentlichkeit als selbstverständlich erachtet. Aber auch die Siedlungen des frühen 20. Jahrhunderts, die aus der sozialen und politischen Aufbruchstimmung hervorgingen, sind ein wesentlicher Baustein der Stadtentwicklung. Dass sie bisher in ihrer Gesamtheit nicht nur so wenig Resonanz fanden, sondern nun auch dezimiert werden sollen, weist auf ein bemerkenswertes Defizit in der Auseinandersetzung mit der baulichen Erinnerungskultur unserer Stadt Nürnberg hin. Andernorts, etwa in München oder Erlangen, genießen solche Siedlungen längst Denkmalschutz, in Berlin sind sie seit 2008 sogar Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Immerhin, das Interesse wächst: Bereits über 300 Menschen haben eine Petition gezeichnet, die die Aufnahme des Ensembles Schillingstraße in die Bayerische Denkmalliste fordert.
Dem revolutionären Konzept der „Gartenstadt“ von Ebenezer Howard folgend förderten die Siedlungen den Gemeinschaftssinn der Bewohner und boten ihnen Licht, Luft und Kontakt zur Natur mit Gärten, die sie nach dem Selbsthilfeprinzip für Gartenbau und Erholung nutzten. In der im Zweiten Weltkrieg sehr stark zerstörten Südstadt ist die weitgehend intakte Siedlung mit ihren behutsamen Wiederaufbauten der 1950er Jahre ein „Fenster in die Geschichte“. Als zweites Siedlungsprojekt in der Historie der WBG ist sie ein Stück Siedlungs- und Erinnerungskultur – nicht nur für die WBG, sondern für die Südstadt und ganz Nürnberg. Im Wechsel mit der höher verdichteten Bebauung in der Umgebung dokumentiert sie städtebauliche Entwicklungen, deren zeitgeschichtliche Brüche das Stadtbild beleben und inzwischen dessen Charme ausmachen. In München-Haidhausen z.B. – einst „Glasscherbenviertel“ direkt neben repräsentativen Gründerzeitwohnblocks und Maximilianeum (Bayerischer Landtag) – haben gerade diese historischen Brüche maßgeblich dazu beigetragen, dass sich der Stadtteil zu einem beliebten und sozial diversen Quartier entwickelt hat. Auch in der Gestaltung der Fassaden mit ihren Rücksprüngen, den weiten Dachüberständen, den hohen Walmdächern und Details wie stuckierten Giebeln über den Eingängen – alles ganz im Sinne der Reformarchitektur der Errichtungszeit – drückt sich die städtebauliche Wirkung des Ensembles Schillingstraße aus. Die geplante Hochverdichtung der neuen Bebauung würde das inzwischen als malerisch gewertete Stadtbild an dieser Stelle zerstören.
2. Zeugnis für den Erfolg der WBG: Die Siedlung besitzt hohen Wohnwert.
Die Siedlung verfügt über ein stabiles Nachbarschaftsnetzwerk; die Langzeitmieter identifizieren sich mit „ihrer“ Siedlung. Abgesehen von der aktuellen Form der Kurzzeitunterbringung in einem Teil des Geländes findet man hier ein intaktes soziales Umfeld vor, ein Mikroabbild der diverskulturellen Südstadt. Eine hochverdichtete Neubebauung mit geplantem hohem Anteil an Eigentumswohnungen würde die kleinteiligen nachbarschaftlichen Strukturen, die die Identität der Siedlung und ihrer Bewohner prägen, zerstören. Die meisten Alteingesessenen würden entwurzelt, da sie sich Mieten oder gar Wohneigentum im Neubau nicht leisten könnten. Der Gentrifizierung würden Tür und Tor geöffnet. Durch eine solide Sanierung, die den finanziellen Möglichkeiten der Bewohner angepasst ist, würden die alten Strukturen bewahrt. Obwohl die WBG die Gemeinnützigkeit offiziell einbüßen musste, sollte sie den gemeinnützigen Gründungsgedanken nicht über Bord werfen. Ebenso wie die soziale Verantwortung gegenüber den Mietern und den Nürnberger Bürgerinnen und Bürgern ist die Gemeinnützigkeit wesentlicher Teil der Unternehmensidentität. Dies gilt genauso für die Stadt Nürnberg als einhundertprozentige Eigentümerin der WBG.
Die Wohnungsgrößen entsprechen der Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt, auf dem es immer mehr Kleinsthaushalte mit ein oder zwei Personen gibt. Die Wohnungsschnitte können durch Herausnahme von Wänden optimiert und Einheiten zusammengelegt werden – so geschehen etwa in der Preussensiedlung in Berlin, deren Sanierung 2012 mit dem Landesdenkmalpreis ausgezeichnet wurde. Die Aufrüstung der Heizanlage mit Fernwärmeanschluss, die Erneuerung der Dachhaut und der Fenster würden den energetischen Standard ohne Schaden für das architektonische Erscheinungsbild erheblich verbessern.
3. Siedlung mit Zukunft: Das Ensemble Schillingstraße hat Entwicklungspotential – auch ohne Abriss und Neubau.
Anders als die WBG halten wir eine Instandsetzung aufgrund der gut erhaltenen Substanz und Bauqualität für realistisch. Die solide Ausführung der Gebäude und liebevolle Details wie Kunstschmiedegeländer an den Treppen und Stuckornamente an den Fassaden belegen dies. Wir schlagen vor, zur Instandsetzung einen spezialisierten Architekten zu benennen, etwa den auf die Sanierung von Siedlungsbauten spezialisierten Architekten Winfried Brenne. Im Rahmen eines Vorzeigeprojekts könnten die Bewohner in die Instandsetzung und gemeinschaftlichen Pflege der Häuser und Grünanlagen (Stichwort „Urban Gardening“) einbezogen werden – ganz im Sinne des Selbsthilfe- und Solidaritätsprinzips der Gründerjahre. Dadurch können die bestehenden sozialen Strukturen erhalten werden. Auch alternative und zukunftsweisende Wohnformen wie Mehrgenerationenwohnen sind vorstellbar.
Unser Plädoyer
Noch ist nichts verloren. Noch kann die WBG die Weichen neu stellen und dem Stadtbild ein Ensemble von städtebaulicher und sozialgeschichtlicher Bedeutung bewahren. Bei der Sanierung der 1918 bis 1922 erbauten Siedlung Ostendstraße hat die WBG jüngst gezeigt, dass sie ihre Tradition hochzuhalten weiß und im besten Sinne jener Gemeinnützigkeit, die ihre Identität ausmacht, handeln kann. Wir fordern die gleiche Chance für das Ensemble Siedlung Schillingstraße. Wir fordern eine Zukunft für unsere Vergangenheit.
Einige historische und aktuelle Bilder zum Ensemble